Juli 10, 2022

Marokko: Zwischen Vorgestern und Übermorgen 

Im Oktober 2021 hatte uns Marokko endlich wieder – nach zweijähriger Zwangsabstinenz! Landung in Marrakesch , das gebuchte Mietauto steht abholbereit da und nach einer Nacht zum „Ankommen“ vor den Toren Marrakeschs starten wir Richtung Foum Zguid. Aber das Land ist uns viel zu kostbar, um es im Eiltempo durchzufahren. Wir schnurren über die ausgebaute N9, lassen uns Zeit, um Ausblicke zu genießen und merken schnell, wie gut es tut, sich endlich wieder auf die marokkanische Entschleunigung einzulassen.

 

Traditioneller Marokkanischer Modeschmuck © marokko-erfahren

"Traditioneller Marokkanischer Modeschmuck ©marokko-erfahren"

 

Vom Touchdown zu den Nomaden 

Im Oktober 2021 hat uns Marokko endlich wieder – nach zweijähriger Zwangsabstinenz! Landung in Marrakech , das gebuchte Mietauto steht abholbereit da und nach einer Nacht zum „Ankommen“ vor den Toren Marrakechs starten wir Richtung Foum Zguid. Aber das Land ist uns viel zu kostbar, um im Eiltempo durchzufahren. Wir schnurren über die ausgebaute N9, lassen uns Zeit, um Ausblicke zu genießen und merken schnell, wie gut es tut, sich endlich wieder auf die marokkanische Entschleunigung einzulassen. In Ighrem n’Ougdal legen wir eine Pause ein, um nach einem erfrischenden Orangensaft den Dorfspeicher  zu besichtigen. Es lohnt sich, dort dem Hauch der Vergangenheit nachzuspüren. Als wir Ouarzazate erreichen, verleitet uns die Kasbah Taourirt  zu einem Besuch. Danach verspüren wir kein Bedürfnis mehr, weiterzufahren, suchen uns eine Unterkunft und beschließen spontan, Ouarzazate ein paar Tage zu gönnen.

Wir erweitern nach interessanten Besichtigungen innerhalb der Stadt unseren Aktionsradius und registrieren die extremen Gegensätze zwischen zukunftsweisender technischer Entwicklung und dem althergebrachten Leben in der Umgebung des Ortes. Immer wieder fasziniert uns das bunte Markttreiben , wir staunen über das breit gefächerte Warenangebot .
Ungefähr 25 km nordöstlich von Ouarzazate an der Straße Richtung Demnate reizt uns die Oase Tidhrest , die sich aus drei Hauptstämmen ehemaliger Nomadenvölker zusammensetzt. Die Oase blickt auf eine lange Geschichte zurück, was unschwer an den uralten Bewässerungssystemen, den Khettaras erkennbar ist, die man dort entdeckt. Hier hat Fatima El Harraz einst mit dem Kunstmaler Mohamed Flilou „TILILA “, ein Museum für traditionelles Erbe mit reichlich 5000 Objekten und Gegenständen in einem architektonisch interessanten Gebäude eingerichtet. Ein lohnenswerter Besuch, der einen tiefen Blick in die vergangene Lebenswelt der Bewohner ermöglicht. Beim Wandern durch das Dorf blendet in der Ferne ab und an ein grelles Licht, aber die interessante Architektur und zahllose weitere Eindrücke drängen diese Wahrnehmung in den Hintergrund. Ganz in unserer Nähe bewegt sich etwas flink am Boden – Atlashörnchen , die in ihrer Größe etwas an Eichhörnchen erinnern, spielen miteinander, balgen sich, verschwinden aus unerklärlichen Gründen plötzlich, um neugierig hinter dem nächsten Stein wieder aufzutauchen. Begeistert beobachten wir das Treiben eine Zeit lang.
Außerhalb der Oase stoßen wir auf Steinmonumente, möglicherweise Tumuli , die ein Hinweis auf vorislamische Besiedelung sind. Wissenschaftler haben im Bereich der heutigen Nationalstraße N 23 (sie verbindet die N10 mit Demnate) eine alte Handelsroute über den Hohen Atlas lokalisiert. Ein weiteres Zeichen, dass diese Gegend schon lange von Menschen nicht nur durchwandert, sondern auch besiedelt wurde. 

 

Museum TILILA, © Fatima El Harraz & Mohamed Flilou ©marokko-erfahren

 

Gewürze © marokko-erfahren

Haushaltswaren © marokko-erfahren

Die Sonnenenergie Afrikas

 In der nahezu vegetationslosen Fläche lässt sich das grelle Licht nicht mehr ausblenden. Unsere Blicke schweifen und bleiben an einem Turm hängen, von dessen Spitze dieses Licht ausgeht. Hier ein Leuchtturm? Diese Wiedersprüche zwischen Vorgestern und Übermorgen machen uns neugierig. Wir bewegen uns auf den Turm zu, bis wir vor einem umzäunten Gelände stehen. Es erfordert schon ein bisschen Geduld, um am ca. 30 km langen Zaun einen Eingang zu finden. Umso größer ist dann die Enttäuschung, dort zu erfahren, dass ein Besuch des Solarkomplexes nur mit schriftlicher Genehmigung aus Rabat erlaubt ist.

Wir schickten eine Mail mit Terminanfrage an den marokkanischen Konzern für nachhaltige Energie Masen mit Sitz in Rabat, der das bei Ouarzazate gelegene Solarkraftwerk Noor betreibt. Terminvorschläge und anschließende Buchungsbestätigung kamen schnell. Problematischer gestaltete sich dann die Festlegung des Treffpunktes vor Ort. Nach unserer Recherche ist die komplette Anlage 3040 ha groß ist – eine Größe von etwa 3000 Fußballfeldern – und verfügt über zwei bewachte Eingänge. Wir erkundigten uns nach dem Treffpunkt. Umgehend erhielten wir eine Luftaufnahme, bei der das Besucherzentrum mitten in der Anlage markiert war. Um pünktlich zu sein, erkundigten wir uns nach dem richtigen Tor, es folgte eine prompte Antwort: I have no idea!  

Wir steuerten am Besichtigungstag das Osttor an und legten unsere Genehmigung vor. Freundlich, aber bestimmt wurden wir abgewiesen, hier sei nicht der richtige Zugang für uns, man erwartet uns am Südtor. Hektisch stiegen wir ins Auto, da uns nun ca. 16 km über die N10 bevorstand und wir in Zeitdruck gerieten. Das war aber überhaupt kein Problem, nach Prüfung unserer Besuchserlaubnis, der Pässe und einer Sicherheitskontrolle durften wir mit unserem Auto einem Begleitfahrzeug bis zum Besucherzentrum folgen. Die Besichtigung begann auf der Spitze des Aussichtsturms, sieben Etagen über der Anlage. Beeindruckend, diesen riesigen Komplex von oben zu betrachten! Dort erhielten wir detaillierte Informationen über die Größe der Anlage, ihre Funktionsweise, Speicherkapazitäten der einzelnen Abschnitte und technische Details.

 

 

 

 

„Einen tiefen Eindruck hat diese Besichtigung auf jeden Fall hinterlassen und uns einmal mehr vor Augen geführt, wie eng beieinander zukunftsweisende Technologie und Tradition liegen. “.

Turm von Noor © marokko-erfahren

Der Leuchtturm in der Wüste

Noor – der arabische Name für Licht - besteht aus vier Bereichen. Gebaut wurde das noch im Jahr 2020 weltgrößte Solarkraftwerk in einer Region mit Sonnenscheingarantie an nahezu 365 Tagen im Jahr. Noor I und II sind Parabolrinnenkraftwerke mit reichlich 1,4 Mio. Spiegeln, deren Ausrichtung zur optimalen Nutzung ständig an den Stand der Sonne angepasst wird. Durch die gespeicherte Energie kann bis zu 7 Stunden nach Sonnenuntergang noch Strom produziert werden. Weiterhin erfuhren wir, dass es mit speziellen Bürsten ausgestattete Reinigungsfahrzeuge gibt, die die Spiegel nachts von Sand- und Wüstenstaub befreien. Ein ausgeklügelter Plan sorgt dafür, dass jeder Spiegel mindestens einmal pro Woche gereinigt wird.
Bei Noor III  – des eigentlichen Anlasses unserer Besichtigung - handelt es sich um ein Solarturmkraftwerk. Der 242 m hohe Turm – eins der höchsten Bauwerke Afrikas - ist umgeben von 7400 Betonpylonen, mit darauf montierten Spezialspiegeln, den Heliostaten, die das Sonnenlicht auf die Turmspitze reflektieren. So entsteht das extrem helle und über viele Kilometer sichtbare Licht, das uns fasziniert hatte. Temperauren von weit über 1000°C entstehen hier oben, durch eine spezielle Luftkühlung wird das zur Stromerzeugung benötigte Salz dann auf 560°C erhitzt. Das war die Erklärung für den „Leuchtturm“, dessen Licht uns beim Spaziergang durch die Welt von vorgestern aufgefallen war.
So faszinierend und beeindruckend diese zukunftsweisende Technologie ist – immerhin werden 2,2 Mio. Menschen jährlich mit dem hier erzeugten Strom versorgt – entstehen aus nicht wissenschaftlicher Sicht auch kritische Gedanken am Rande. Etwa 10 km südlich der Anlage befindet sich der Stausee Al Mansour Ad Dahbi, aus dem pro Jahr 3 Mio. m³ Wasser zur Kühlung von Noor I und zur Reinigung der Spiegel entnommen werden. Sicher nicht ganz unproblematisch, wenn sich der Stausee bei geringen und unregelmäßigen Niederschlägen  
nicht proportional zur Wasserentnahme regeneriert. 
So spannend und faszinierend das helle Licht in der Turmspitze auch erscheinen mag, die hohen Temperaturen in seiner Umgebung machen der Tierwelt zu schaffen. Insekten und Vögel können in der extremen Hitze nicht überleben. Wie mag das Ökosystem langfristig auf solche Eingriffe reagieren?
Abschließend durften wir dem Begleitfahrzeug auf den Straßen durch die gesamte Anlage folgen. An einigen Stellen hielten wir, bekamen laufende Arbeiten erklärt, sahen die Speicher für das verwendete Salz und liefen zwischen den vom Boden aus riesig wirkenden Parabolspiegeln  herum, bis wir zum Ausgang eskortiert wurden. 
Einen tiefen Eindruck hat diese Besichtigung auf jeden Fall hinterlassen und uns einmal mehr vor Augen geführt, wie eng beieinander zukunftsweisende Technologie und Tradition liegen. Beiden Seiten notwendiges Verständnis gegenüber aufzubringen, ist sicher oft mehr als eine Gratwanderung. 

Erneut haben uns diese Besichtigungen gezeigt, dass Ouarzazate weit mehr zu bieten hat, als nur „Filmstadt“ zu sein. Natürlich gehört ein Besuch des Cinema Studio Atlas nicht nur für Kinoliebhaber zum Pflichtprogramm der Stadt. Darüber hinaus sollte man aber nicht die kulturell so reiche Umgebung aus dem Blick verlieren. Auch wenn es nicht unser erster Besuch in Ouarzazate war, verlassen wir den Ort nun Richtung Foum Zguid mit dem sicheren Wissen, beim nächsten Mal bestimmt wieder Neues zu entdecken.

Gern können Sie sich hier weiter informieren: www.marokko-erfahren.de

 

 

In Oum Brammane © marokko-erfahren

Im Vordergrund Steinmonument © marokko-erfahren

Timtadit, im Vordergrund die Öffnungen der Khettara © marokko-erfahren

Über die Autoren von marokko-erfahren: 

Barbara und Andreas Leidenschaft für Marokko entstand bereits bei ihrem ersten Besuch des Landes im Jahr 1991. Von der kulturellen Vielfalt, der Offenheit, Freundlichkeit und Gastfreundschaft seiner Bewohner sind sie seitdem fasziniert. Mittlerweile haben sie ihre erlernten Berufe aufgegeben, reisen regelmäßig nach Marokko um die bekannten und unbekannten kulturellen Sehenswürdigkeiten vieler Interessensbereiche kennen zu lernen und sie - begleitet von guter Kartographie – anderen zugänglich zu machen. Mit ihren Publikationen kann jede Zielgruppe ihre Wunschziele erreichen, kann individuell Marokko erfahren.

 

Barbara und Andreas © Prof. El Hassane Beraaouz, Agadir

Marrakech Markt © marokko-erfahren

Sonnenuntergang im Hohen Atlas © marokko-erfahren

 

Titelfoto: Stau auf der Nationalstraße © marokko-erfahren